KI in der Krise?

KI – ist sie in der Krise, im KI-Winter, oder, wie es Sebastian Thrun in der letzten Ausgabe der Zeitschrift KI formuliert hat, „hoch im Rennen“? Die Wahrnehmung unserer Teildisziplin der Informatik scheint so vielfältig zu sein wie ihre Ergebnisse: Natürliche Sprache ohne praktisch relevante Einschränkungen zu verstehen, ist immer noch unmöglich; jedoch sind KI-Systeme inzwischen so lernfähig und adaptiv, daß sie handelsübliche Automobile stundenlang erfolgreich auf Kurs durch die Wüste halten können. Sebastian Thrun und Michael Richter schreiben diese Fortschritte der Tatsache zu, daß KI-Forscher in den letzten Jahren erkannt haben, welche Vorteile aus sogenannten hybriden oder kombinierten Systemen erwachsen. Eine Zeitlang hat man stattdessen den allgemeinsten noch einheitlichen Lösungsansatz für eine Problemstellung gesucht. Wohl gerade der Erfolg der Mustererkennung in der Praxis mit ihrem hauptsächlichen Vehikel, der statistischen Klassifikation, hat die wissensbasierten Ansätze der KI in die Defensive gedrängt. Inzwischen hörte ich aber bekannte Forscher, wie etwa Hinrich Schütze, sagen, daß das linguistische Verständnis in der statistischen Sprachverarbeitung sehr naiv und ohne mehr Linguistik nicht mehr viel an Verbesserung herauszuholen sei. So darf man nun beim Schließen mit Unsicherheit Wahrscheinlichkeiten benutzen und beim part-of-speech-tagging sprachliches Wissen einsetzen, um die Qualität der Lösungen zu verbessern. Diese stark pragmatische und wenig dogmatische Denkschule ist vielleicht auch ein Ergebnis einer breiten Ausbildung. So habe auch ich während meines Informatikstudiums Vorlesungen über Mustererkennung und Künstliche Intelligenz gehört, Vorund Nachteile der jeweiligen Lösungsansätze erfahren und Erfolge sowie Mißerfolge erlebt. Eine derartige Ausbildung in der Breite weitet den Erfahrungsund Denkhorizont und läßt den früher heftiger geführten Methodenstreit im Licht des Dünkels und der intellektuellen Sturheit erscheinen. Das Gebiet des Planens und Konfigurierens hat eine ähnliche Entwicklung durchlaufen, die schon am weit gefächterten thematischen Spektrum vom klassischen Planen bis hin zu POMDP-Theorien – und das ist nur einer von vielen denkbaren Querschnitten durch das Gebiet – zu erkennen ist: Die Idee für eine gute Bewertungsfunktion hat auch den „klassichen“ Planern zu neuem Erfolg verholfen. Die KI sollte mehr Ideen wie diese finden, beispielsweise eine Heuristik zur Bewertung von Resolutionsschritten. Gute Theorien führen zu nützlichen Werkzeugen, und dann kommen auch die Anwender wieder zur KI zurück. So breit gestreut wie das Gebiet selbst sind auch die Beiträge dazu in diesem Schwerpunkt. Weil sie staunten, begannen die Menschen die Philosphie, schreibt Aristoteles – staunen Sie also beim Lesen; ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dem aktuellen Heft der KI.